Frank Menz ist seit knapp drei Monaten unser Headcoach und Sportdirektor. Im folgenden großen Interview äußert er sich ausführlich zur Kaderzusammenstellung, den diesbezüglichen weiteren Planungen und erläutert unter anderem, wie der Braunschweiger Basketball-Bundesligist das geplante deutsche Konzept bei geringeren finanziellen Mitteln umsetzen will.
Frank, du bist seit Anfang Mai als Sportdirektor und Trainer bei den Basketball Löwen Braunschweig tätig. Hast du Braunschweig schon ein wenig kennenlernen können?
Frank Menz: Bislang war ich sehr beschäftigt – teils noch für den DBB und natürlich auch für die Basketball Löwen. Daher blieb für richtige Stadterkundungen noch nicht viel Zeit. Seit knapp zwei Wochen „wohne“ ich aber in Braunschweig und werde jetzt vielleicht mehr dazu kommen, die Stadt etwas kennenzulernen.
Wie hast du deine ersten Wochen als Sportdirektor und Trainer der Basketball Löwen verlebt? Wie groß stellt sich der Unterschied von DBB-Arbeit zu Klub-Arbeit für dich da?
Es waren sehr intensive Wochen. Und ein großer Unterschied zur Arbeit beim DBB besteht logischerweise im Scouting und dem damit verbundenen Zusammenstellen der Mannschaft. Hier haben mein Assistant Coach Stephen Arigbabu und ich sehr viel Zeit investiert und den Markt ausgiebig sondiert. Darüber hinaus habe ich natürlich viele Gespräche auf verschiedenen Ebenen geführt, um überhaupt zu erfahren, wie die Räder hier ineinandergreifen, alles aufeinander aufbaut und um die Strukturen kennenzulernen. Gespräche im Nachwuchsbereich sowie mit unserem ProB-Kooperationspartner MTV Herzöge Wolfenbüttel standen da ganz oben auf der Liste. Hier wurde sehr schnell klar, dass wir auf der gleichen Wellenlänge liegen und die Herzöge unseren Plan absolut unterstützen wollen und dies bereits ausgesprochen engagiert tun. Dementsprechend gut läuft die Zusammenarbeit schon zum jetzigen Zeitpunkt. Dies und die nötigen Strukturen – wie die bereits seit Jahren hervorragende medizinische Betreuung durch das HEH, das Zusammenstellen eines kompetenten Staffs für die Bundesliga, als auch einen guten und im Nachwuchsbereich erfahrenen Trainerstab – benötigen wir unbedingt, um unser Ziel zu realisieren, in den kommenden Jahren ein zukunftsorientiertes sowie nachhaltiges deutsches Konzept aufbauen.
Kommen wir auf dieses deutsche Konzept zu sprechen. Es scheint Fragen aufzuwerfen, wie sich dieses Vorhaben bei den geringeren finanziellen Mitteln der Löwen darstellen lassen soll. Vor allem, weil bekannt ist, dass deutsche Spieler teuer sind. Kannst du erklären, wie es dennoch funktionieren kann und soll?
Zunächst einmal muss man wahrscheinlich bei der Erwartungshaltung beginnen. Wer erwartet, dass wir dieses Konzept von heute auf morgen realisieren können, wird unser Ziel als nicht darstellbar betrachten. Aber wir haben zu keinem Zeitpunkt davon gesprochen, dass es von heute auf morgen passieren soll, geschweige denn kann. Wir haben deshalb sehr bewusst kommuniziert, dass wir „über die kommenden Jahre“ ein deutsches Konzept aufbauen wollen. Das ist realistisch und nur so kann es hier am Standort Braunschweig unter den gegenwärtigen Voraussetzungen funktionieren.
Es ist doch klar: Mit einem deutlich kleineren Teametat kann ich keine Spieler wie Bogdan Radosavljevic, Mahir Agva, Johannes Richter, Johannes Thiemann etc. verpflichten. Unsere wesentliche Zielgruppe auf den deutschen Positionen sind demzufolge nicht die Starting Five-Spieler der U20-Nationalmannschaft, sondern die Spieler dahinter, in denen auch sehr viel Entwicklungspotenzial steckt. Spieler wie Luis Figge, Consti Ebert oder Tom Alte und Lars Lagerpusch haben wir mit längerfristigen Verträgen ausgestattet, um sie über mehrere Jahre hinweg zu BBL-Spielern zu formen. Dies geht vor allem über Spielzeit in der ProB sowie in der BBL. Wichtig ist jedoch, dass man diesen Talenten die Zeit geben muss, sich an die 1. Liga zu gewöhnen und mit dem höheren Spielniveau zu wachsen. Sie sollen nach und nach Spielanteile oder auch mehr Spielanteile erhalten, um stetig eine größere Rolle einnehmen zu können. Mit unseren bisherigen Verpflichtungen haben wir den Grundstein dafür gelegt und in der Saison 17/18 spielen ein, zwei unserer jungen deutschen Akteure vielleicht schon 15 oder 20 Minuten in der BBL und werden zu Leistungsträgern. Zudem werden andere Spieler, die sich im Laufe der kommenden Saison über die ProB und das gemeinsame Training mit dem Erstliga-Team weiterentwickelt habt, dann die Chance erhalten, in den 12er-Kader der Löwen vorzurücken. Dieser Weg muss sich beständig wie ein Kreislauf fortsetzen und darüber werden wir weitere deutsche Akteure davon überzeugen, am Standort Braunschweig spielen zu wollen. Das muss unser Ziel sein und darüber wird sich das deutsche Konzept etablieren können.
Als vom deutschen Konzept die Rede war, entstand aber sicherlich auch die Annahme, dass die Löwen den deutschen Spielern in der kommenden Saison eine tragende Rolle geben werden…
In der kommenden Saison kann es nur für einige Deutsche eine tragende, aber in jedem Fall für alle eine wichtige Rolle sein. Jeder von ihnen soll seinen Anteil zum Teamerfolg beitragen. Die einen, indem sie eine wichtige Rolle auf dem Parkett übernehmen. Die anderen, indem sie uns die nötigen Impulse als Backup-Spieler geben und zum BBL-Spieler reifen. Und die wiederum anderen, indem sie uns im Training helfen und sich allesamt dabei gemeinsam weiterentwickeln. Nicolai Simon, Sid-Marlon Theis und Tim Schwartz sind BBL-erfahren. Von ihnen kann und werde ich einiges erwarten. Luis hingegen bringt das Potenzial mit, Spielzeiten in der BBL zu erhalten. Aber ich kann doch von einem 19-Jährigen, der zuletzt 20 Minuten im Schnitt in der ProA gespielt hat, nicht erwarten, dass er jetzt schon eine entsprechend große Verantwortung in der BBL übernimmt – zumal es für uns auch um das Ziel Klassenerhalt gehen wird und dies mit viel Druck verbunden sein wird. Gleiches gilt für Lars Lagerpusch. Beide werden Bestandteil unserer 12er-Rotation sein und sollen vor allem regelmäßig Spielzeit erhalten. Allein diese Tatsache, dass wir einen 18- und einen 19-Jährigen im Erstligakader mit Spielzeit einplanen, wird in der Liga etwas Besonderes darstellen und uns von vielen anderen Standorten unterscheiden. Grundsätzlich gilt, dass ich mich an den Einsatzzeiten der deutschen Spieler im Hinblick auf die Realisierung unseres Konzepts werde messen lassen müssen.
Wären Lucas Gertz, Martin Bogdanov und Cornelius Adler denn nicht gut geeignet gewesen, diesen deutschen Weg mit zu gehen und gerade im ersten Jahr mit zu tragen? Sie sind ja schließlich auch BBL-erfahren.
Sicherlich wären sie das. Aber im Fall von Cornelius Adler war schon vor dem Saisonende klar, dass er Braunschweig verlassen und einen Neuanfang in der ProA starten möchte. Nach seinen beiden schwierigen BBL-Jahren ist das durchaus verständlich, und das hat er mich auch gleich bei unserem ersten Treffen wissen lassen. Bei Lucas Gertz und Martin Bogdanov haben wir uns die Entscheidung alles andere als leicht gemacht. Auch weil Lucas ein Braunschweiger Eigengewächs und dementsprechend wichtig für die Identifikation ist. Hier hat aber ganz wesentlich die finanzielle Komponente eine Rolle gespielt. Lucas Gertz hat zuletzt ein Gehalt bezogen, das wir nur schwer hätten zahlen können. Ich musste da schon genau abwägen, ob wir dieses Geld in ihn investieren, oder ob wir dafür einen anderen Spieler verpflichten, der ähnliche Leistung zu geringeren Bezügen liefern kann. Ähnlich verhält sich die Situation bei Martin Bogdanov. Selbstverständlich kam auch hinzu, dass ich eine Vorstellung davon habe, wie mein Team aussehen und wie gespielt werden soll. Dieser Aspekt hat den Entscheidungsprozess ebenfalls mit beeinflusst. Und hier sah ich ebenfalls unter der Berücksichtigung der finanziellen Komponente andere Spielertypen besser geeignet.
Wie sieht denn der Basketball aus, den du spielen lassen möchtest?
Die Zuschauer können von uns eine mit größter Leidenschaft und hoher Intensität spielende Mannschaft erwarten. Fast alle unsere Spieler haben noch nicht auf BBL-Niveau gespielt und werden einige Zeit brauchen, um sich zu adaptieren. Voraussichtlich werden wir in der ersten Saisonhälfte dadurch mehr Fehler machen als uns lieb sein wird. Umso wichtiger wird es sein, körperlich topfit und taktisch bestens vorbereitet zu starten. Dadurch lassen sich einige Defizite durchaus kompensieren. Ärgern wollen wir unsere Gegner besonders durch eine sehr mannschaftsorientierte, schnelle Spielweise und eine starke Verteidigung.
Kommen wir zum aktuellen Kader: Außer Nicolai Simon, Sid-Marlon Theis und Lars Lagerpusch werden keine weiteren Spieler aus der vergangenen Saison nach Braunschweig zurückkehren. Befürchtest du, dass den Zuschauern dadurch die Identifikation mit dem Team fehlen könnte?
In erster Linie sollte sich der Zuschauer vor allem mit dem Klub und nicht nur mit einzelnen Spielern identifizieren. Und das muss uns mittelfristig ohnehin gelingen. Dazu gehört natürlich auch, wichtige Spieler längerfristig an uns zu binden. Denn uns ist bewusst, dass Spieler wesentlich zur Identifikation mit einem Klub beitragen. Daher kann ich auch nicht leugnen, dass es hilfreich für die Identifikation ist, wenn eine gewisse Kontinuität gegeben wäre. Diese ist uns finanziell aber zum jetzigen Zeitpunkt nicht möglich. Denn für den Preis eines Amin Stevens, der vergangene Saison der preiswerteste Löwen-Importspieler war, verpflichte ich aktuell zwei Spieler. Die Spieler, die wir bisher unter Vertrag genommen haben, sind aber alles gute Typen, sehr motiviert, hungrig und offen. Ich bin mir sicher, dass das Publikum schnell mit ihnen warm werden wird. Und wenn wir eines in der kommenden Saison unbedingt brauchen, dann ist es die volle Unterstützung unserer Fans im Kampf um den Klassenerhalt. Ich wünsche mir, dass die Zuschauer hinter diesem Team stehen, auch wenn es mehr Niederlagen als im vergangenen Jahr geben sollte. Aber wir werden kämpfen bis zum Umfallen und das hat Unterstützung verdient. Und wenn wir dieses erste Jahr mit dem Klassenerhalt abschließen sollten, dann spielen uns für die Zukunft die Verträge in die Hände, die wir mit unseren Neuverpflichtungen abgeschlossen haben. Denn alle bisher verpflichteten Spieler haben mindestens Zweijahresverträge unterschrieben. Das hilft uns dann auch wieder in Sachen Identifikation. Hierbei kann aber auch unser Assistant Coach Stephen Arigbabu eine wichtige Rolle spielen. Stephen hat eine Braunschweiger Vergangenheit und ist bei vielen Fans in positiver Erinnerung – sowohl als Nationalspieler als auch im SG-Trikot.
Du hast bislang insgesamt sieben Spieler unter Vertrag genommen – die Doppellizenzler eingeschlossen. Die drei bisher verpflichteten Imports haben weder BBL-Erfahrung und bisher auch nicht auf BBL-Niveau gespielt. Ein Risiko?
Spieler frisch vom College zu verpflichten, birgt immer ein Risiko – egal, wie gut unsere Recherchen waren. Basketball in den USA ist riesig groß und die Strukturen sind nahezu perfekt! Fast alle Spiele sind live im Fernsehen zu verfolgen und die Spieler werden wie Superstars behandelt. Hier gibt es große Mentalitätsunterschiede, die sich unterschiedlich auswirken können. Um das Risiko zu minimieren, muss man Spieler mit Bundesliga-, beziehungsweise Europaerfahrung verpflichten, aber diese sind für uns derzeit nicht finanzierbar. Dennoch würde ich keinen Spieler verpflichten, von dem ich nicht glaube, dass er in der BBL bestehen kann. Thomas Klepeisz kommt aus der österreichischen Liga, die bekanntermaßen nicht so stark ist wie die BBL ist. Allerdings kamen da z.B. auch Larry Gordon oder Brandon Thomas her, die sich hier hervorragend etabliert haben. Hinzukommend hat Tommy schon zwei Jahre im internationalem Wettbewerb gespielt und verfügt über viel Entwicklungspotenzial. Letztgenanntes haben unser Center Geoffrey Groselle und Guard Carlton Guyton auch. Geoffrey kommt mit guten Statistiken aus einer guten NCAA-Conference und bringt tolle Qualitäten unter dem Korb mit. Und Carlton hat bereits drei Jahre in der ProA gespielt, aus der übrigens auch mal Julius Jenkins, Rocky Trice und weitere kamen. Carlton hat bei seinen Teams eine wichtige Rolle gehabt und wer über drei Jahre konstant gut in der ProA spielt, hat auch das Zeug für die BBL. Ich bin davon überzeugt, dass alle drei sich schnell an die BBL gewöhnen werden und auch auf diesem Niveau performen können.
Wie viele Importspieler möchtest du verpflichten?
Ich möchte sechs Importspieler verpflichten, aber wir gehen aktuell von fünf aus. Ich habe von vornherein gesagt, dass wir auf unsere Importspieler angewiesen sein werden und sie dieses Team werden tragen müssen. Nun können wir zwar nicht bei Topspielern mitbieten, können aber gut scouten und auf den einen oder anderen „steal“ hoffen. Unsere bisherigen Verpflichtungen haben das Potenzial, ein „steal“ sein zu können. Allerdings sehe ich auch, dass dies noch nicht ausreicht, um in der Liga zu bestehen. Daher ist auch eine weitere Neuverpflichtung geplant, sofern sich die Situation in den kommenden Monaten bis zum Saisonanfang oder darüber hinaus positiv entwickeln sollte. Zudem müssen wir darauf hoffen, dass die Preise weiter sinken. Mein Wunsch wäre aber, das Team so bald wie möglich zu meinen Wunschvorstellungen komplettieren zu können, damit wir unter guten Voraussetzungen in die Saison starten können.
Von den Qualitäten eines Thomas Klepeisz kann man sich bald im TV überzeugen. Er spielt ab dem 31. August mit der Nationalmannschaft die EM-Qualifikation – unter anderem gegen Deutschland. Dadurch wird er aber auch erst nach dem 17. September in Braunschweig erscheinen. Stellt das ein großes Problem für die Vorbereitung dar?
Natürlich ist es gut, wenn man die Vorbereitung mit dem kompletten Team bestreiten kann. Das hilft beim Zusammenwachsen – auf und abseits des Parketts. Tommy ist zudem Point Guard, hat also eine Position, die für das Funktionieren unseres Spiels wichtig ist. Das sind beides Aspekte, die es folglich nicht ideal machen, dass er über weite Strecken der Vorbereitung fehlt. Aber: Für einen Spieler ist es immer etwas Besonderes, wenn er für die Nationalmannschaft spielen kann. Außerdem wird Tommy fit zu uns stoßen, weil er direkt aus einem internationalen Wettbewerb kommt. Und es ist auch von Vorteil, dass er mit Österreich gegen die deutsche Nationalmannschaft spielen wird. Das sind ja zu einem Großteil auch die Gegner, auf die er innerhalb der Saison treffen wird. Wirklich problematisch wäre sein Fehlen für mich nur dann, wenn wir bis dahin die anderen Imports noch nicht unter Vertrag hätten. Aber davon gehe ich nicht aus.
Und dann startet auch schon die Saison 2016/17. Das Ziel dieses Jahr lautet ganz klar: Klassenerhalt. Was sind deine Gründe daran zu glauben, dass die Löwen trotz aller Umstände erstklassig bleiben?
Zunächst einmal wissen wir alle, worum es geht. Niemand wird mit einer falschen Erwartungshaltung in die Saison gehen – weder Fans noch Spieler noch Verantwortliche. Ich denke, dies wird uns beim Zusammenhalten helfen, was wir definitiv auch brauchen werden. Mit den Fans im Rücken und mit der Unterstützung aus der Region werden wir in all unseren Spielen kämpfen bis zum Ende. Wir werden Fehler machen, Spiele verlieren, aber nie aufgeben. Außerdem glaube ich einfach an mein Team. Denn wir haben viel Talent. Jeder Spieler hat noch Entwicklungspotenzial, jeder Spieler kann sich noch steigern, dazulernen und bringt vor allem auch den Ehrgeiz mit, sich weiterentwickeln zu wollen. Das kann und wird für uns ein großes Plus darstellen. Und ich glaube, dass wir über diese Motivation zu einem starken Team wachsen können, das am Ende die Siege holt, die einen Ligaverbleib notwendig machen. Hinzukommend sehe ich auch zwei, drei weitere Teams, die mit ihren Kaderzusammenstellungen gar nicht weit von uns entfernt sein sollten, und die müssten ja am Ende auch erst einmal vor uns stehen.
Vielen Dank für das Gespräch.